Das Mittelalter

 

Der Begriff „Mittelalter“ wurde zum ersten Mal von den Humanisten des 14. Jahrhunderts verwendet. Sie meinten diese Bezeichnung keineswegs positiv, denn die hinter ihnen liegende Epoche erschien ihnen als finstere Zwischenzeit, in der das leuchtende Licht der Antike, das wiederzuentdecken sie sich gerade anschickten, unter dem Scheffel gestanden hatte und darob beinahe völlig erloschen war. Ob die Fußbodenheizungen der römischen Privathäuser oder die Werke des Aristoteles, vieles wurde in der Renaissance neu- und wiederentdeckt, dessen heller Glanz die gerade vergangene Zeit in einem umso düsteren Licht erscheinen ließ.

Obwohl keineswegs schmeichelhaft gemeint und lange auch nicht so verstanden, ist der Begriff „Mittelalter“ als Epochenbezeichnung auch von den Historikern übernommen worden. Uneinigkeit bestand und besteht im Hinblick auf den genauen Beginn und das Ende jener Zeit, deren grober Bezugsrahmen von 500 bis 1500 n. Chr. gespannt wird. Die einen setzen den Beginn des Mittelalters mit dem Ende des Weströmischen Reiches im Jahr 476, sein Ende mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 an. Andere plädieren dafür, den Beginn der Völkerwanderung 375, die Gründung des Klosters Montecassino und die Schließung der Akademie Platons in Athen 529, das Ende der Völkerwanderung in Jahr 568, Mohameds Hidschra 622 oder den Beginn der arabischen Expansion ab 632 als Beginn des Mittelalters anzusehen. Denkbare Daten für dessen Ende sind die Erfindung des Buchdrucks 1450, die Entdeckung Amerikas durch Columbus 1492 (wir wissen, dass die Wikinger früher da gewesen sind, aber zu dieser Zeit war das Mittelalter wirklich noch nicht zu Ende), der Beginn der Reformation 1517 oder der Bauernkrieg 1525. Das eindeutig längste Mittelalter wird von Jacques Le Goff propagiert, der meint, es habe sich im Grunde bis ins 19. Jh. erstreckt, doch das ist nun wirklich ein Minderheitsstandpunkt.

 

Ordnung ist eine gute Sache, und auch ein so komplexes Feld wie die Geschichte läßt sich einfach besser verstehen, wenn man längere Zeiträume in kürzere überschaubare gliedert. Im 19. Jh. entstand deshalb die Einteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Gemäß einer Idee, die ihre Wurzeln in der Antike hat, verstand man darunter nicht nur die Einordnung, sondern auch eine Wertung. Denn die Trias von Früh-, Hoch- und Spätmittelalter wurde mit Aufstieg, Blüte und Verfall gleichgesetzt. Bei der Periodisierung gingen die Historiker von ihrem normalen Blickwinkel, der Herrschaftsgeschichte aus. Das Frühmittelalter war die Zeit der Merowinger und Karolinger und erstreckte sich vom 6. bis zum Anfang des 10. Jh. Das Hochmittelalter bescherte die Ottonen, Salier und Staufer und reichte vom Beginn des 10. Jh. bis ungefähr 1250. Das Spätmittelalter offenbart einen Umbruch in den Herrschaftsstrukturen und das Scheitern der Idee eines Kaiserreiches; es beginnt ca. 1250 und endet um 1500.

 

(aus: Karfunkel Mittelalter ABC, Wald-Michelbach 2011, S. 1-2)